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Schutzgalerie Saalachsee (B21)

1. Allgemeines

1.1 Aufgabenstellung

Die Bundesstraße B 21/E 641 ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen im Landkreis Berchtesgadener Land. Sie verbindet innerhalb des Landkreises die Gemeinde Schneizlreuth mit der Stadt Bad Reichenhall und ist für Stadt und Bundesland Salzburg die kürzeste Verbindung zu den österreichischen Urlaubsregionen in Tirol und im Pinzgau. Bedingt durch ihre Lage entlang der hohen und steilen Süd- und Osthänge des Ristfeucht- und Rabensteinhorns sowie der Nord-West-Hänge des Lattengebirges mit seinen steil aufragenden Felswänden kommt es hier immer wieder zu Unfällen und Sperrungen wegen Lawinen-, Steinschlag- oder Murereignissen. Nach mehreren Extremereignissen mit Verletzten und längeren Sperrungen der Straße wurde beschlossen, ein integrales Schutzkonzept gegen gravitative Naturgefahren zu entwickeln. Ziel war es, die Straße mit technischen und waldbaulichen Maßnahmen so zu schützen, dass sie trotz der Gefahren aus den angrenzenden Hängen die regionalen und überregionalen verkehrlichen Anforderungen ganzjährig zuverlässig erfüllen kann. Das heißt, die Gefahren mussten bestmöglich reduziert und die Verfügbarkeit der Straße musste deutlich erhöht werden. Bei allen Bemühungen war jedoch klar, dass ein 100%iger Schutz der Straße vor den Naturereignissen niemals erreicht werden kann.

1.2 Maßnahmenabwägung, Einwirkungen und Lastansätze

Bisher gibt es in Deutschland keine verbindlichen Richtlinien für eine risikobasierte Beurteilung und Abwendung gravitativer Naturgefahren. Ebenso fehlen für die Bemessung von Schutzbauwerken Vorschriften zur Ermittlung der Einwirkungen aus Steinschlag, Murereignissen und Lawinen sowie zur Kombination dieser Lastfälle. Um die Naturgefahren für die Bundesstraße umfänglich zu erfassen, wurden vom Bauamt intensive Bestandserhebungen durchgeführt. Dazu erfolgte eine ereignisorientierte Gefahrenermittlung mittels gutachterlicher Stellungnahmen durch die Fachabteilungen des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (Geologie, Muren, Lawinen). Auf Basis dieser Daten konnten im Anschluss vertiefte 2-D- und 3-DSimulationen für die verschiedenen Prozessarten und unterschiedlichsten Ereignisszenarien (z. B. unterschiedliche Blockgrößen, verschiedene Lawinenarten) in Abhängigkeit der zu erwartenden Wiederkehrwahrscheinlichkeiten erstellt werden. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde eine Risikoabschätzung durchgeführt und eine Dringlichkeitsbeurteilung vorgenommen. Des Weiteren konnten mit den Simulationen die Bemessungs- und Lastansätze für ein Schutzbauwerk abgeleitet, sowie die Wirksamkeit von Einzel- und Maßnahmenbündeln genau untersucht werden. In enger Zusammenarbeit mit dem Prüfingenieur wurde ein umfassendes Lastbild mit einem Einwirkungsbericht erarbeitet. Für die verschiedenen Lawinenszenarien wurden z. B. Schneewichten von 3,00 kN/m3 (für Fließlawinen), 4,00 kN/m3 (für eine natürlich abgelagerte Schneedecke) und 5,00 kN/m3 (für abgelagerten Lawinenschnee) berücksichtigt. Die maßgebende Murlast setzt sich aus einem vertikalen Anteil von 4l kN/m2 und einem horizontalen Anteil von 9 kN/m2 zusammen. Als größte Steinschlagbelastung wurde ein ca. 8,5 t schwerer Sturzblock berücksichtigt, der mit einer maximalen Geschwindigkeit von 34,4 m/s aufschlägt. Die im Lastbild definierten Einzeleinwirkungen aus den Prozessarten Murgang, Lawine und Stein- bzw. Blockschlag sowie die anzusetzenden Teilsicherheits- und Kombinationsbeiwerte bildeten die Grundlage für die weitere Bemessung des Schutzbauwerkes nach Eurocode. Anhand aller resultierenden Daten wurde in einem letzten Schritt der wirtschaftliche Nachweis des geplanten Schutzbauwerkes über eine Kosten-Nutzen-Analyse erbracht

1.3 Bauwerksgestattung

Die Gestaltung des Bauwerks wurde maßgeblich durch die statisch-konstruktiven, wirtschaftlichen und verkehrlichen Randbedingungen bestimmt. Beleuchtung, Brandschutz, Verkehrssicherheit, Bautechnologie, Baukosten und vor allem der Zeitfaktor beeinflussten die Wahl der Tragwerkslösung. Die architektonische Gestaltung der Portale erfolgte mit dem Ziel, die ursprünglich sehr wuchtig wirkende, massive Deckenkonstruktion bei der Einfahrt in das Bauwerk filigraner erscheinen zu lassen. Hierfür wurden die Attikaelemente von 1,50 m auf 80 cm in Richtung der Portale verjüngt. Des Weiteren verspringt an den Stirnseiten das Attikaelement entsprechend der Tragkonsfruktion in zwei Stufen. ; Dabei wurde der untere Abschnitt leicht nach innen abgeschrägt. Durch diese Ausbildung gelingt eine abgestufte Schattenwirkung, die den Attikabalken der Portale wesentlich leichter wirken lässt. Die angestrebte Reduktion der Bau- und Sperrzeit führte letztlich zu einer unkomplizierten Fertigteillösung an den Portalen.

2. Bauwerksentwurf

2.1 Allgemeines

Bei der Schutzgalerie handelt es sich um ein 139 m langes Stahlbeton-Bauwerk, welches im Gegenverkehr befahren wird. Die Galerie besteht aus 13 teilüberschütteten Blöcken mit verschiedenen Längen und Regelquerschnitten. An den Galerieenden unmittelbar hinter den Portalwänden befindet sich jeweils ein Leitwall. Die beiden Leitwälle verhindern ein Ausbrechen von Wildbachereignissen, Muren und Lawinen zu den Portalen hin. Sie bieten außerdem den Portalbereichen einen zusätzlichen Schutz gegen Steinschlagereignisse. Für evtl. erforderliche Räumungsarbeiten muss das Plateau auf der Galerie auch zukünftig zugänglich sein. Hierfür wurde ein ca. 70 m langer, vor dem Westportal beginnender Betriebsweg errichtet. Der Betriebsweg durchquert am oberen Ende den westlichen Leitwall über ein mit einem Balkenverschluss gesichertes Durchführungsbauwerk. Bergseitig ist die Galerie vollständig eingeschüttet. Die Überschüttungshöhe beträgt i. M. ca. 3,00 m und maximal 4,75 m. Auf der Talseite stellt die 1,50 m hohe Attika die Mindestüberdeckung des Bauwerkes sicher. Höhe, Neigung und Gefällebruchkanten der Überschüttung wurden nach den Angaben der schweizer Richtlinie „Ein- Wirkungen infolge Lawinen auf Schutzgalerien (ASTRA 12 007)" geplant. Um die Kräfte auf das Bauwerk gering zu halten, wurde die Umlenkstrecke der Lawinen möglichst weit bergseitig der Galerie verlegt. Die mächtigen Überschüttungshöhen sind erforderlich, um zum einen die punktuell auftretenden Energien aus den Steinschlagereignissen für das Tragwerk zu reduzieren und zum anderen, um Mur- und Lawinenereignisse sicher über das Bauwerk ableiten zu können. Damit Geröll und Gestein beim Eintreten der Naturereignisse nicht auf dem Bauwerk liegen bleiben, sondern abgeleitet werden, ist ein Mindestgefälle der Überschüttung von ca. 16° notwendig. Die Überschüttung setzt sich zusammen aus der Schutzschiebt auf dem Bauwerk, einer Dämpfungsschicht und der Deckschicht. Als Material für die Dämpfungsschicht kam der im Zuge der Baumaßnahme abgebaute Hangschutt zum Einsatz, nachdem dessen Eignung bodenmechanisch untersucht und durch Simulationsberechnungen bestätigt worden war. Die Erfordernisse an die Geometrie der Überschüttung führten zu einer Verschiebung der bestehenden Trasse der Bundesstraße in Richtung Bergseite. Die sich aus der Trassenverschiebung ergebenden Voreinschnittsbereiche wurden bergseitig mit 50 m bzw. 60 m langen und 5,0 m hohen Stützwänden gesichert. Abweichend zum Hauptbereich wurde das am westlichen Ende der Galerie vorhandene Murgerinne lediglich mit einem leichten Gefalle von 2,5 % überschüttet. Das Gerinne ist 4 m breit und mit Wasserbausteinen verbaut. Von der in diesem Bereich mit Gerinnequerschnitt ausgebildeten Attika fällt das Wasser direkt unterhalb der Galerie auf ein mit Wasserbausteinen ausgebautes „Tosbecken". Danach fließt es wie im Bestand talseitig ab.

2.2 Konstruktion

Da im Bereich des Bauwerks gut tragfähiger Hangschutt ansteht, konnte das Tragwerk flach auf Streifenfundamenten gegründet werden. Die Blocklängen der Galerie betragen 10 m im Hauptbereich (RQ1) und 12,5 m bei den vier Blöcken im Bereich des Murgerinnes (RQ2). Die Schutzgalerie ist auf Grund der örtlichen Verhältnisse als zur Talseite hin halboffener Rechteckquerschnitt ausgeführt. Der Querschnitt setzt sich aus der bergseitig angeordneten, geschlossenen Rückwand, den talseitig stehenden Stützen und einer Plattenbalkendecke zusammen. Die Decke besteht aus 75 cm hohen und 50 cm breiten Stahlbetonfertigteilträgern, die in Querrichtung der Galerie gespannt sind. An der Talseite liegen sie über eine Schubknaggenverbindung auf den Stützen auf und kragen ca. 1,20 m aus. Für einen besseren Lichteinfall ist die Auskragung mit ca. 42° schräg nach oben gezogen. Damit konnte die erforderliche Leuchtdichte in der Galerie sichergestellt werden. Über den Fertigteilträgern befindet sich eine 38 cm dicke Ortbetondecke, die auf 6 cm dicken Betonfertigteilen als verlorene Schalung betoniert wurde. Den talseitigen Abschluss der Decke bildet die 1,50 m hohe Attika. Sie besteht aus Stahlbetonfertigteilen, die biegesteif an die Betondecke angeschlossen sind. Die Dicke der Attika beträgt 45 cm. Um auf eine Beleuchtung verzichten zu können, mussten zudem die Stützenquerschnitte auf ein Minimum reduziert werden. Die Verschlankung der Stützen und der Querträger bedingte eine Ausführung dieser Bauteile mit einem hochfesten Beton der Festigkeitsklasse C 60/75 und einem sehr hohen Bewehrungsgrad. Zur Reduzierung der Anpralllasten auf die Stützen wurde talseitig eine 1,50 m hohe Brüstung vorgesehen. Diese Brüstung verhindert zudem beim Eintreten von Naturereignissen ein Rückfließen von Schutt oder Schnee ins Innere der Galerie. Um einen erhöhten baulichen Brandschutz zu gewährleisten, mussten dem Konstruktionsbeton der Querträger, der Deckenplatte, der Stützen und der Wände Polypropylenfasern zugegeben werden.

Aufgrund der Einbindung des Galeriebauwerkes in den bergseitigen Hang und der hohen Lasten aus Überschüttung und Naturereignissen (vor allem der Steinschlag- und Felssturzereignisse) konnten die anfallenden Kräfte aus dem Erddruck nicht mehr über das Rahmenbauwerk selbst abgetragen werden. Daher musste die bestehende Böschung durch eine vernagelte Spritzbetonwand vorab gesichert werden. Die als Dauersicherung ausgelegte Konstruktion besitzt eine maximale Höhe von ca. 12 m. Im Hinterfüllbereich zwischen bergseitiger Galeriewand und Spritzbetonsicherung wurden eine Drainmatte aus Geotextil sowie Filterbeton eingebaut. Durch diese Maßnahmen konnte der Erddruck deutlich reduziert werden. Weiterhin wurde sichergestellt, dass ggf. zukünftig auftretendes Schichtwasser sicher und zielgerichtet abgeführt wird und sich kein Wasserdruck hinter der Galeriewand aufbauen kann

2.3 Betriebstechnische Ausstattung

Bei der betriebstechnischen Ausstattung der Galerie wurden neue Wege beschritten. Durch die abgelegene Lage des Bauwerkes wären für die Erstellung einer Stromversorgung hohe Kosten angefallen. Aus diesem Grund wurde die Galerie so geplant, dass bei dem Bauwerk vollständig auf elektrische Anlagen verzichtet werden konnte. Trotzdem entspricht das Bauwerk den Vorgaben der RABT 2006. Die größte Herausforderung stellte dabei die Einhaltung der in der RABT geforderten Leuchtdichtewerte im Bauwerk dar. Um auf eine Beleuchtung verzichten zu können, mussten die Stützen sehr stark verschlankt werden, um eine möglichst geringe Verschattung im Bauwerk zu erreichen. Eine 3,0 m hohe, reflektierende Beschichtung der bergseitigen Galeriewand verbessert ebenfalls die Helligkeit im Bauwerk.

Um das Fehlen der Stromversorgung zu kompensieren, mussten mehrfach Sonderlösungen gefunden werden. So wurde beispielsweise für die Entleerung des Rückhaltebeckens für Schadflüssigkeiten eigens eine Vakuumpumpe geplant und realisiert.

3. Bauausführung

Wegen der schwierigen Umleitungssituation und der hohen Verkehrsbelastung der Bundesstraße wurde versucht, Sperrzeiten und vor allem Vollsperrungen weitestgehend zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Der Baubeginn für die Hauptarbeiten der Galerie erfolgte am 04.08.2014. In den ersten zwei Monaten wurden die Hangabtrags- und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Mit der schrittweisen Fertigstellung von Teilabschnitten der Hangsicherung im Galeriebereich und der Herstellung einer Teilumfahrung konnte ab Mitte September mit den Betonagearbeiten der Fundamente, der bergseitigen Wände sowie der talseitigen Brüstungsmauer inkl. der Stützen für die Blöcke 5-10 begonnen werden. Für diese Blöcke mussten noch vor der Winterpause auch die Galeriedecken, die Abdichtung und eine provisorische Überschüttung fertiggestellt sein, damit evtl. auftretende Lawinenereignisse in der Wintersaison nicht zu größeren Schäden am Bauwerk führten. Witterungsbedingt waren im Winter keine Arbeiten vorgesehen. Auf Grund des örtlichen Klimas (tiefe Minustemperaturen und hoher Niederschlag, meist als Schnee) hätte eine wirtschaftliche und technisch einwandfreie Herstellung des Bauwerks nur unter hohen finanziellen Zusatzleistungen gewährleistet werden können. Nach der Winterpause wurden die Arbeiten im März 2015 mit dem Abbruch eines bestehenden Runsendurchlasses wieder aufgenommen. Im Anschluss erfolgte die Herstellung der restlichen bergseitigen Fundamente und Galeriewände der westlichen Blöcke 1-4. Ab diesem Zeitpunkt musste auch die zu Beginn der Maßnahme erstellte Teilumfahrung für die Mittelblöcke rückgebaut und der Verkehr bereits einspurig durch die Galerie geführt werden. Nach der Umverlegung des Verkehrs in die Galerie konnten die noch fehlenden ostseitigen Fundamente, Stützen und hangseitigen Wände erstellt werden. Innerhalb einer Vollsperrung von nur drei Wochen im Mai 2015 wurden alle noch fehlenden Querträger, Attika-Elemente und Deckenplatten eingehoben und die notwendigen Einbauten in der Galerie (z. B. Entwässerungsleitungen, Schlitzrinnen, Frostschütz- und Tragschichten) fertiggestellt. Alle weiteren Betonier-, Abdichtungs- oder Erdarbeiten (z. B. Überschüttung des Bauwerkes, Herstellung der Leitwälle) mussten unter Aufrechterhaltung und mehrmaligem Umlegen des Verkehrs durch die Galerie ausgeführt werden. Im Anschluss daran konnten die letzten Arbeiten an der Fahrbahn und dem Murgerinne, die Errichtung des Rückhaltebeckens und die Anbringung der passiven Schutzeinrichtungen erfolgen. Ende November 2015 wurde die neue Schutzgalerie fristgerecht vor der zweiten Winterperiode für den Verkehr freigegeben 

 

  • Region: Bad Reichenhall, Bayern
  • Tunnelnutzung: Straße
  • Bauherr: Freistaat Bayer vertr. durch das Staatliche Bauamt Traunstein
  • Planer: Gebauer Ingenieur GmbH, Traunstein; Höllige & Wind, Anger
  • Bauausführung: HABAU Hoch- und Tiefbauges. mbH, Perg(A)
  • Gesamtlänge: 139 m
  • Lichte Weite: 9,80 m
  • Kosten: 6,1 Mio. Euro
  • Bauzeit: 08/2014 bis 11/2015